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Männliche Opfererfahrungen
Hans-Joachim Lenz (Hrsg.) Beratung ist eine traditionelle Aufgabe von Sozialarbeit. Geschlechtsspezifische Beratungsangebote für Frauen gab es bereits in den 20er Jahren im Zusammenhang mit Ehe- und Sexualfragen. Ein ähnlich ausdifferenziertes Beratungsnetz für Männer gibt es bislang nicht. Dies liegt daran, daß das Männliche als das Normale gilt, daß Männer insgesamt bislang weniger Beratungsbedarf anmelden und daß die speziellen männlichen Problemlagen bislang von Beratungseinrichtungen überhaupt nicht bzw. zu wenig wahrgenommen werden. Dem spezifischen Beratungsbedarf von Männern liegen die Widersprüche, Ambivalenzen und Konfliktlagen eines Lebens als Mann zugrunde. Bislang verschwinden die männlichen Gewalterfahrungen hinter den Geschlechterklischees. Damit auch die Notlagen von Männern erkannt werden, müssen männliche Gewalterfahrungen als soziales Problem öffentlich gemacht werden. Die Perspektive dieses Bandes ist auf die blinden Flecken im gesellschaftlich-politischen Geschlechterdiskurs, in der allgemeinen psycho-sozialen Arbeit und speziell in der Beratung gerichtet. Sie zielt auf das Aufdecken wenig bekannter, teilweise verborgener männlicher Opfererfahrungen, versucht diese und deren Verdrängung im gesellschaftstheoretischen Kontext der Männergesellschaft zu verstehen und entwickelt Handlungsschritte daraus. Dadurch trägt es zu einem differenzierteren Verständnis von Männlichkeit bei. Erscheint: November 1999
Inhalt Hans-Joachim Lenz Einleitung
Grundlegendes Hans-Joachim Lenz " ... und wo bleibt die solidarische Kraft für die gedemütigten Geschlechtsgenossen?" Männer als Opfer von Gewalt - Hinführung zu einer (noch) verborgenen Problemstellung Lothar Böhnisch Männer als Opfer - ein paradigmatischer Versuch Erfahrungen und Problemlagen männlicher Opfer Dirk Bange Pädosexualität ist sexueller Missbrauch Reiner Blinkle Gewalterfahrungen eines "geistig behinderten" Mannes Peter Dillig Gewalterfahrungen männlicher Klienten in einer ländlichen Eltern-, Jugend- und Familienberatungsstelle Constance Engelfried Mit Widersprüchen leben lernen. Ergebnisse einer empirischen Studie über männliche Jugendliche in der Gruppe von Gleichaltrigen Bastian Finke Schwule als Opfer von "häuslicher Gewalt" Ralf Ruhl Väter - Opfer bei Trennung und Scheidung? Ansätze zur Hilfe und Unterstützung Ulfert Boehme Die Suche nach Hilfe. Zugänge zu geschlechtsspezifischen Hilfeangeboten für männliche Opfer sexueller Gewalt
REZENSION von Annemarie Schweighofer-Brauer, zum Buch:Männliche Opfererfahrungen. Problemlagen und Hilfeansätze in der Männerberatung Männer als Opfer ... !? Viele Männer wurden und werden Opfer - in ihrer
Kindheit, in der Jugend und im Erwachsenenalter - von sexuellem Mißbrauch,
von Gewalttätigkeit, von sexueller Gewalt, von Vernachlässigung und Mißachtung
- durch Väter, Onkel, Lehrer, Erzieher, Betreuer, ältere Brüder oder
Arbeitskollegen ... und auch durch Mütter, Tanten, Lehrerinnen,
Erzieherinnen, Betreuerinnen ... Männliche Opfererfahrungen sind für Männer unerträglich, weil sie auf das eigene Opfersein aufmerksam machen. Opfersein widerspricht dominanten männlichen Geschlechterrollen, der Sozialisation zu Stärke, Härte und Durchsetzungsvermögen. Männliche Opfererfahrungen erinnern aber auch an das eigene Täter sein, so Jochen Peichl in seinem Artikel zu Rollenklischees und Wahrnehmungsblockaden aus der Sicht eines Psychoanalytikers. Was nicht sein darf, gibt es nicht. Und in Folge dessen quälen sich mißbrauchte, vergewaltigte, geschlagene Männer durch Krankenhäuser, Psychiatrien und Beratungseinrichtungen, ohne jemals als Opfer wahrgenommen zu werden. Ihre "auffälligen Verhaltensweisen" und Krankheiten werden psychiatrisch und medizinisch kategorisiert und dementsprechend behandelt. Diverse Artikel im Buch beschreiben diesen Mißstand. an.? Frauen scheinen eher geneigt zu sein, männliche
Opfererfahrungen ernst zu nehmen und auf sie einzugehen, aber auch bei
ihnen bewirkt die Konfrontation damit häufig Hilflosigkeit und Unverständnis.
Vor allem Frauen, die mit weiblichen Opfern arbeiten, fällt es schwer,
sich auf das männliche Opfer sein Sein einzulassen, aus der Befürchtung
heraus, dass damit Täterschaft entschuldigt werden könnte. Als Hintergrund der Gewaltproblematik benennen mehrere
Autoren im Buch die patriarchal-kapitalistische Gesellschaftsform.
Weibliche Mittäterinnenschaft bei deren Reproduktion und
Aufrechterhaltung wird in feministischen Theorien und Analysen seit den
80er Jahren reflektiert und kritisiert: Frauen werden gegen Frauen zu Täterinnen,
in Kolonial- und Klassenverhältnissen, sie wurden zu Täterinnen im
Nationalsozialismus und in anderen totalitären GesellschaftenSystemen.
Allerdings, so der Tenor einiger Autoren des Buches, ist kaum die Rede
von weiblicher Täterschaft gegenüber Söhnen, Neffen oder gar Ehemännern.
Psychischer Mißbrauch wird ab und zu angeprangert, den in patriarchalen
Verhältnissen emotional verkrüppelte Mütter mit ihren Söhnen
betreiben, wird ab und zu angeprangert wie - z.B. von der Mutter, die
nach der Scheidung Trost beim Sohn sucht. Sexueller Mißbrauch von
Frauen an Jungen und Männern ist hingegen kaum vorstellbar und Frauen,
die ihre Männer schlagen, kann es gar nicht geben. Immer wieder klingt in den Artikeln die Frage nach dem
Zusammenhang von Opfer- und Tätersein an. Es wird betont, dass ein großer
Teil der Opfer nicht zu Tätern wird, dass Männer vielmehr
unterschiedliche Umgangsweisen entwickeln, um mit ihrer Opfererfahrung
zu überleben. Oft überleben sie mehr recht als schlecht. Lange Zeit
nach den Mißbrauchs- und Gewalterfahrungen gerät ihr Leben aus den
Fugen. Im Buch schreiben Mitarbeiter von Hilfseinrichtungen und Initiativen, Psychologen sowie Männer und eine Frau, die Forschungen durchführten. Da die Zahl der Hilfseinrichtungen, die sich männlicher Opfererfahrung stellen, nicht allzu hoch ist, bietet das Buch einen guten Überblick über die Situation in Deutschland und streift auch die Schweiz. Im ersten Teil erfolgt eine grundlegende Darstellung
des Umfanges des Themas - der Diskussions- und Erkenntnislinien. Für alle, die beruflich mit männlicher Opfererfahrung konfrontiert sind, wird dieses Buch eine gute Unterstützung sein. Wer bereit ist, sich auf eine Sensibilisierung in diese Richtung einzulassen, kann sich von den Beiträgen darin leiten und begleiten lassen. Autorin dieser Rezension: |
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